Das erste freistehende Hochhaus in Deutschland baut der Darmstädter Friedrich Pützer 1915 mit dem „Bau 15“ für die Zeiss-Werke in Jena. Der 11-Geschosser überragt den Darmstädter „Pützer-Turm“ im Gelände von Merck nur um 3 Meter.

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann der Hochhausbau.  1902 errichtete Daniel Hudson Burnham in New York das 91 Meter hohe Fuller-Building, das wegen seiner dreieckigen Grundform auch Flat-Iron-Building genannt wird. Die aufkommende Stahlskelett-Bauweise erlaubte es, weit in die Höhe zu bauen.

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Angeregt wurden die Hochhausbauten durch den Boom in den USA, für den das Flat-Iron-Building in Mahnhatten mit fast 100 Metern den ersten Maßstab setzte.

Im damaligen Deutschland war der Hochausbau nicht so einfach. Die Brandschutzgesetze erlaubten nur 22 Meter als obere Grenze für das letzte genutzte oder bewohnte Geschoß. Grund für diese bis heute geltende Regelung war die begrenzte Reichweite der Feuerwehrleitern. Dass diese Grenze auch heute noch rettungstechnisch sinnvoll ist, zeigte sich erst wieder im Juni 2017 bei dem verheerenden Hochhausbrand im Grenfell-Tower in London. Trotzdem drängte man auf Höhe.

 

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Der Pützer-Turm im Werksgelände von Merck erreicht durch das aufgesetzte Steildach und den Uhrturm eine beeindruckende Höhe von 40 Metern. Als Hochhaus galt der Bau mit sechs Geschossen jedoch noch nicht.

 

Der Darmstädter Architekt Friedrich Pützer blieb zunächst konservativ. In seinen Entwürfen für das nach der Jahrhundertwende 1900 neu erschlossene Werksgelände der Firma Merck plante er einen 40 Meter hohen Turm als Büro- und Wohngebäude. Der Bau mit fast quadratischen Grundriss und zwei seitlichen Anbauten enthielt auf den unteren beiden Etagen den Eingangsportier, Büro- und Geschäftsräume und darüber auf drei weiteren Etagen Wohnungen. Mit den fünf Nutzgeschossen wird die Feuerwehrgrenze von 22 Metern noch eingehalten Die Gesamthöhe von 40 Metern erreicht der Turm durch ein hohes, in Holzbauweise ausgeführtes gestaffeltes Steildach und einen aufgesetzten, mit Jugendstilelementen dekorierten, weithin sichtbaren Uhrturm. Das 1905 fertiggestellte Gebäude hatte zwar mit 40 Metern eine damals beeindruckende Höhe, aber als Hochhaus galt der Bau mit sechs Geschossen noch nicht.

Und so machte die Firma Carl Zeiss in Jena zehn Jahre später das Rennen. Mitten in der Zeit des ersten Weltkrieges plante man in Jena eine gigantische Erweiterung des Werksgeländes. Optische Instrumente waren plötzlich kriegswichtig geworden.

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Der Bau 15 im Zeiss-Werksgelände in Jena gilt als das erste freistehende Hochhaus in Stahlskelettbauweise in Deutschland. Der 43 m hohe Turm hatte ursprünglich in der oberen Doppeletage große Fensterfronten zum Test von optischen Entfernungsmessern.

Es war wiederum der Darmstädter Architekturprofessor Friedrich Pützer, der nach viel Hin und Her 1915 einen Plan für ein monumentales, 102 Meter langes zehngeschossiges Produktionsgebäude vorlegte. Das in Stahlskelettbauweise auszuführende Gebäude sollte eine Höhe von knapp 43 Metern erreichen. Der Bau wurde nur zum Teil realisiert. Aus dem langen Fabrikgebäude wurde ein quaderförmiges turmartiges Hochhaus, wie es bis dahin in Deutschland noch nicht bekannt war.

Es war die Dringlichkeit der kriegswichtigen Industrie, die den Hochhausbau möglich machte. Im oberen Geschoß sollten optische Entfernungsmessgeräte für die Artillerie getestet werden. Mit zwei getrennten Zugängen konnte man offensichtlich auch die Feuerwehr besänftigen und erste Grundlagen für den Brandschutz in Hochhäusern schaffen. Die Inbetriebnahme erfolgte 1916-17. Der „Bau 15“ der Zeiss-Werke in Jena gilt heute als das erste in Deutschland errichtete, freistehende Hochhaus.

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Der 1909 in Berlin fertiggestellte Bau des Glühlampenwerkes war damals noch ohne den Glaswürfel 42 m hoch und ist noch in traditioneller Ziegelbauweise ausgeführt. Der Bau wurde später mit einem fünfgeschossigen Glaswürfel aufgestockt und hat heute eine Höhe von 63 m.

Der Wettlauf war knapp. Bereits 1909 wurde in Berlin der Bau der Glühlampenwerke fertiggestellt. Architekt war Theodor Kampffmeyer. Der traditionelle Ziegelbau erreichte in einem quaderförmigen, zehngeschossigen Mittelteil des Gebäudekomplexes eine Höhe von 42 Metern. Das Gebäude wurde in seiner wechselvollen Geschichte zweimal mit einem Glaswürfel aufgestockt, der ursprünglich sogar drehbar war. Bekannt wurde es als Osram- und später dann Narva-Turm. Heute nutzt die BASF den jetzt 63 Meter hohen Gebäudekomplex für ihr internationales Servicecenter.

Friedrich Pützer (1871-1922) war seit 1902 Professor an der Darmstädter Hochschule. Bei seinen zahlreichen Bauten besonders in Darmstadt blieb er meist stilistisch traditionell. Beachtung erreichte er mit dem Jugendstil-Bau des Darmstädter Hauptbahnhofes. Das Hochhaus in Jena zeigt, dass er bautechnisch immer auf der Höhe der Zeit war.

Literatur:

/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Pützerturm
/2/ http://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/der-puetzerturm-bleibt-wo-er-ist_15537773.htm
/3/ Regina Stephan (Hrsg.), Friedrich Pützer, „In die Umgebung hineingedichtet“, Bauten und Projekte, Spurbuchverlag Baunach, 2015
/4/ http://www.darmstadt-stadtlexikon.de/p/puetzer-friedrich.html
/5/ https://www.bauhaus-2019.de/cms/website.php?id=/de/jena/orte.htm
/6/ https://de.wikipedia.org/wiki/Oberbaum_City
/7/ https://www.morgenpost.de/printarchiv/bezirke/article104471802/BASF-zieht-in-den-Narva-Turm.html
/8/ https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_historischen_Hochhäuser_in_Deutschland
Die Webseiten wurden am 25.08.2017  abgerufen.

Die Gebäude stehen in Darmstadt, Frankfurter Straße 250 und in Jena, im Zeiss-Gelände in der Innenstadt und in Berlin in der Oberbaum-City.

Download des Textes als pdf: G13_Hochhaus-Bau15_Jena_K24-2017