In der Reihenhaus-Siedlung Dessau-Törten ist die Bauhausarchitektur von Walter Gropius auch nach neunzig Jahren noch in Bewegung. Es ist eine Ausstellung des Drangs nach Individualität kombiniert mit den Segnungen deutscher Baumärkte.

201607122107
In der Siedlung Dessau-Törten stehen die Reihenhäuser in Ringstraßen gegenüber. Zu jedem der Häuser gehört ein kleiner Nutzgarten für die Eigenversorgung. Durch die ursprünglich eingebauten, breiten Fensterfronten erinnerten die Häuser stark an Werkhallen.

Im Infozentrum der Siedlung Dessau Törten: „Ich kann nicht verstehen,  warum die Leute sich nicht wieder die originalen, großen Fenster eingebaut haben?“ Die erste Antwort: „Das ist doch zu kalt.“ ließ ich für die heutige Zeit nicht gelten. Dann kam es doch: „Vielleicht können sich die Bewohner nicht mit der Architektur von Herrn Gropius identifizieren.“

Nachzuvollziehen ist der Ausbruch aus dem Werkhallenflair und der Gleichartigkeit der Häuser schon. Doch es war nicht das Recht auf eine freie, individuelle Gestaltung der Fenster, so im Sinne wie es später von Friedensreich Hundertwasser gefordert werden wird. In Dessau-Törten gab es zunächst ganz einfache wärmetechnische Probleme. Die breiten Stahlrahmenfenster waren nur einfach verglast und wirklich zu kalt. Deshalb forderte die Stadtverwaltung bereits 1935 den Umbau. Dass man sich damit auch politisch von den Idealen des gerade aufgelösten Bauhauses absetzte, war ein durchaus beabsichtigter Nebeneffekt. Dessau-Törten war eine einfache Arbeitersiedlung. Also wurde umgebaut mit allem was finanziell möglich und verfügbar war.

Heute steht in der Siedlung fast kein einziges Wohnhaus mehr, das so aussieht wie 1927/28. Es gibt ein paar wenige Museumsrückbauten und zwei privat restaustarierte Häuser. Nur das Haus „Anton“ ist weitgehend original (siehe Bild).

Wie kam es zu diesem Experimentierfeld für neues Wohnen?

Die Wohnungsnot während der Zeit der Weimarer Republik war immens. Die Stadt Dessau wuchs durch die Industrie sehr schnell. Serienfertigung und Fließbandarbeit prägten den Arbeitsalltag.

Konnten diese Prinzipien in den Wohnungsbau übertragen werden? Das Baubüro von Walter Gropius bekam 1926 den Auftrag, in einer Versuchssiedlung im Süden von Dessau, den industriellen Wohnungsbau zu erproben. Von 1926-28 wurden in 3 Bauabschnitten im kurz vorher eingemeindeten Stadtteil Törten 314 zweistöckige Reihenhäuser errichtet. Es gab 4 Gebäudetypen. Die Häuser waren schlicht und klein, mit knapp 57 bis 90 Quadratmetern Wohnfläche. Nach den Gartenstadt-Siedlungsvorbildern ordnete man die Häuser gegenüberliegend in Ringstraßen an. Zu jedem Haus gehörte ein Grundstück mit 350 bis 450 Quadratmetern als Gartenparzelle zur Eigenversorgung, erschlossen von einem separaten Wirtschaftsweg. Die Häuser waren begehrt. Ein neues Gesetz machte es möglich, dass die Häuser nach Fertigstellung Eigentum der Bewohner wurden.

Charakteristisch für die Architektur waren die einfach gegliederten, quaderförmigen Baukörper, das flache Dach und die über die Hausbreite reichenden Fensterbänder. Erstmals kamen im großen Maßstab Stahlbetonträger, sogenannte Rapid-Balken zum Einsatz. Die Balken lagern auf den Trennwänden der Häuser, die Sichtfassade und die Innenwände haben keine statische Funktion. Damit konnten die Häuser in Montagebauweise wie aus dem Baukasten erstellt werden. Die breiten Fensterbänder wurden durch diese Bauweise erst möglich. Da ein weiterer Träger über den Fenstern aus Kostengründen eingespart wurde, reichten die Fenster bis an die Zimmerdecke und wurden von den Bewohnern als zu hoch eingebaut empfunden. Das war auch einer der Gründe für den späteren Umbau.

Seit 1994 steht die Siedlung unter Denkmalschutz. Es gibt eine Gestaltungssatzung, die für weitere Umbauten zaghaft versucht, die Originalität der Siedlung zu erhalten.

Die Siedlung Desssau-Törten  wurde von 1926 bis 1928 als Versuchsfeld für industrielles Bauen errichtet, um schnell auf die Wohnungsnot und den notwendigen Zuzug von Arbeitern reagieren zu können. Unter der Leitung von Walter Gropius, dem Direktor des Bauhauses, entstanden 314 kleine, einfache  Reihenhäuser, gefertigt am Fließband aus vor Ort vorgefertigten Bauteilen. Die ursprünglich aus dem Industriebau  abgeleitete Gestaltung mit den breiten, einfach verglasten Stahlrahmenfenstern führte schon kurz nach Fertigstellung zu zahlreichen Umbauten.

Literatur:
/1/ Bauhaus Reisebuch, Dumont Buchverlag, 2012, Seite 159ff
/2/ Magdalena Droste, Bauhaus 1919-1933, Taschen GmbH, 2015,  Seite 52ff
/3/ http://www.bauhaus-dessau.de/toerten-6.html, abgerufen am 22.09.2016
/4/ http://www.bauhausstadt.de/Bauhausbauten/Siedlung_Torten/siedlung_torten.html, abgerufen am 22.09.2016
/5/ Gespräche während der Besuche in Törten im Juli 2016
Die Siedlungshäuser stehen im Stadtteil Törten der Stadt Dessau-Roßlau.

Text als PDF downloaden: B05_Siedlung_Dessau_Toerten_K3-2016