An einer genial einfachen Trinkhalle lässt sich erkennen, wie ein kleines Bauwerk durch die wechselvolle deutsche Geschichte gebeutelt wurde. Es ist der einzige Bau aus dem Büro von Ludwig Mies van der Rohe, der in Dessau realisiert wurde.

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Die Trinkhalle an der Ebertallee in Dessau nach dem Neubau, aufgenommen im Jahre 2016

Beinahe wäre es schiefgegangen. Der schlichte Bau der Trinkhalle gleich um die Ecke an den berühmten Dessauer Meisterhäusern stand mehrfach zur Disposition. Irgendwie kann sich die deutsche Seele nicht mit profanen Alltagsbedürfnissen identifizieren.

Doch der Reihe nach: Bereits seit 1900 stand an der Stelle eine einfache Trinkhalle. Diese musste im Jahr 1925 der Neugestaltung des Areals im Zuge des Baus der Dessauer Meisterhäuser weichen. Eine zwei Meter hohe weiße Mauer schloss nun das Areal der Meisterhäuser hin zur Blickachse zum Dessau-Wörlitzer Gartenreich ab. Die lange weiße Mauer hatte in Dessau schnell den Untertitel Klagemauer abbekommen. Der Dessauer Trinkhallenbetreiber Adolf Schnackenberg sprach deshalb beim städtischen Bauamt vor und forderte einen Plan für den Neubau der Trinkhalle. Im Mai 1932 wurde der damalige Direktor des Bauhauses Mies van der Rohe mit der Planung des Neubaus beauftragt.

Es war wahrscheinlich sein Schüler Eduard Ludwig, der den Entwurf zeichnete. Das Spannungsfeld für diesen Entwurf war groß. Gegenüber stehen die „Sieben Säulen“, ein klassizistisches Bauwerk als Eingang in eine weitläufige Parkanlage und um die Ecke die kubischen Meisterhäuser. Zudem sollte die Halle die Abgrenzungsmauer nicht überragen. Es entstand ein an schlichter Einfachheit nicht zu überbietender Kiosk mit einem überstehenden Flachdach. Der Bau ist zugleich ein Beweis, dass man den Umgang mit harmonischen Proportionen im Bauhaus sehr gut beherrschte. Im Juni 1932 wurde die Trinkhalle fertiggestellt.

Eine profane Trinkhalle, die aus der Gartenmauer der elitären Dessauer Meisterhäuser, speziell dem Direktorenhaus von Walter Gropius, herauslugt, das wurde auch gerne als kritischer Kommentar von Mies van der Rohe zu Gropius interpretiert.

Die politischen Verhältnisse änderten sich. Bereits wenige Monate nach Fertigstellung der Trinkhalle wurde das Bauhaus in Dessau durch die von der NSDAP dominierte Stadtverwaltung geschlossen und aufgelöst. Das Direktorenhaus wurde 1936 an Mitarbeiter der Junkers-Werke verkauft. Die Trinkhalle wurde weiterbetrieben.  Allerdings wurden dem Vernehmen nach nur noch nicht-alkoholische Getränke angeboten.

Obwohl das Direktorenhaus während des zweiten Weltkrieges durch einen Luftangriff zerstört wurde, blieb die angrenzende Trinkhalle erhalten. Bis Ende der 1960er Jahre wurde der Geschäftsbetrieb weitergeführt und spiegelte fortan die aktuelle Versorgungslage in Dessau wieder. Zeitweise wurden neben Getränken auch Obst und Gemüse und andere Waren des täglichen Bedarfs auf der eng begrenzten Fläche verkauft.

Anfang der 1970er war das große, abgegrenzte Grundstück des profanen Einfamilienhauses, das auf den Grundmauern der Direktorenvilla errichtet wurde, den sozialistischen Städteplanern ein Dorn im Auge. Zusammen mit der Begrenzungsmauer wurde dann auch die Trinkhalle abgerissen. Damit verschwand das letzte und einzige Zeugnis der Architektur von Ludwig Mies van der Rohe aus dem Dessauer Stadtbild.

Es waren Studenten, die 1994 mehr als 20 Jahre später, anlässlich des 25. Todestages von Mies van der Rohe an die legendäre Trinkhalle erinnerten und aus Stoff und Holz einen symbolischen Nachbau errichteten. Doch es sollte nochmals 20 Jahre dauern, bis der Ruf erhört wurde.

Erst im Jahre 2013 wurde die Trinkhalle wieder salonfähig und wurde in das Projekt zur Wiederherstellung der zerstörten Meisterhäuser mit aufgenommen. Problemlos lief jedoch auch der Wiederaufbau nicht. Bereits 1932 musste der Boden vor der Trinkhalle abgesenkt werden, um eine ausreichende Höhe für das in die Mauer integrierte Vordach zu schaffen. Und auch nach dem Neubau waren eine weitere Absenkung des Gehweges und eine Ausnahmegenehmigung der Behörde nötig, um die Trinkhalle im Sommer 2016 endlich wieder in Betrieb zu nehmen. Jetzt ist das Schwätzchen zu Saft, Bier oder Kaffee wieder inklusive.

Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) wird als einer der bedeutendsten Architekten der Moderne angesehen. Seine technischen Neuerungen mit Tragwerken aus Stahl und Beton erlaubten vorgehängte Glasfassaden und sind prägend für die moderne Architektur. Seine Meisterwerke sind die Neue Nationalgalerie in Berlin 1967 und der Pavillon zur Weltausstellung in Barcelona 1929. Mies van der Rohe war von 1930 bis 1932 Direktor am Bauhaus in Dessau.

Literatur:
/1/ Bauhaus Reisebuch, Dumont Buchverlag, 2012, Seite 144ff
/2/ Magdalena Droste, Bauhaus 1919-1933, Taschen GmbH, 2015,  Seite 48ff
/3/  https://de.wikipedia.org/wiki/Trinkhalle_(Dessau), abgerufen am 16.09.2016
/4/  http://www.bauhaus-dessau.de/trinkhalle-mies-van-der-rohe.html, abgerufen am 16.09.2016
/5/ Gespräche an der Trinkhalle in Dessau im Juli 2016

Die Trinkhalle steht in der Ebertalle 59 in Dessau-Roßlau.

Text als PDF downloaden: B03_Trinkhalle_Dessau_K2-2016