Es ist einer der größten Kirchenneubauten der Nachkriegszeit. Und es ist Beton. Der Mariendom von Neviges ist eine Wallfahrtskirche, nüchtern, sachlich und doch hochgradig emotional. 

Als der Franziskanerpater Antonius Schirley 1680 vermeldete, Maria sei ihm erschienen mit der Botschaft, im damals Hardenberg genannten Ort Verehrung zu finden, ahnte er noch nicht, was er damit auslöste. Die Menschen begannen zu diesem Ort zu pilgern. Ein im Rahmen der Gegenreformation gebautes Franziskaner-Kloster wurde Ziel der Pilgerreisen. Papst Clemens XII. gewährte allen Pilgern Ablass ihrer Sündenstrafen. Sehnsuchtsziel war das Gnadenbild der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria, das 1681 in die Kirche des Klosters überführt wurde.

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Der gewaltige Bau liegt am Abschluss eines kleinen Pilgerweges. Er führt auch an kleinen Unterkunftsräumen für die Pilgernden vorbei.

Im 20. Jahrhundert nahm die Zahl der Pilgerreisen sprunghaft zu. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen manchmal bis zu 10.000 Pilger an einem einzigen Sonntag. Der Kölner Erzbischof Kardinal Frings ließ sich nach dem zweiten vatikanischen Konzil überzeugen, einen Kirchenneubau zu planen, der die im Konzil beschlossenen, neuen Bedingungen der Liturgie verkörpert und die zahlreichen Pilger aufnehmen kann. Die kirchlichen Räume sollten es den Christen ermöglichen, mitzufeiern und nicht nur zu beobachten. Der Architekt Gottfried Böhm schlug vor, den Bau in der Form eines Zeltes mit polygonen Grundriss zu realisieren, um dieser Konzeption gerecht zu werden.

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Die Beton-Kulisse des Domes überragt die Dächer der Kleinstadt Neviges gewaltig.

Erst in der zweiten Ausschreibung des Architekturwettbewerbes konnte sich Gottfried Böhm mit seinem Entwurf durchsetzen und der Kölner Erzbischof Kardinal Frings beauftragte ihn mit der Ausführung.

1964 war Baubeginn. Bereits 1968 konnte die Kirche geweiht werden.

Die einzigartige, gefaltete Dachkonstruktion überspannt einen gigantischen polygonalen Kirchenraum von über 2800 Quadratmetern. Belichtet wird der Bau durch wenige kleine Fensterchen im Dach. Es ist dunkel im Gebäude. Man braucht längere Zeit, um sich an die begrenzten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Dann aber entfaltet sich die ganze emotionale Kraft des gewaltigen Baus. Die wenigen großen Bildglasfenster bekommen Kraft und Farbe. Die Fenster sind geprägt von der Nevigeser Rose, einem Mariensymbol. Der große Innenraum ist wie ein Marktplatz organisiert. Es gibt kein eindeutiges Vorn und Hinten. Der Altar kommt in die Mitte zu den Menschen.

Natürlich hat auch das Zielobjekt der Pilger eine adäquaten Platz bekommen. In einer abgeteilten Seitenkirche findet sich das Gnadenbild der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria eingebettet in einer eigens dafür entworfenen Stehle. Die rotfarbige Beleuchtung und eine zurückhaltende farbige Dekoration betonen die Besonderheit dieses Platzes.

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Der Blick nach oben beeindruckt durch die gigantischen Fluchten des gefalteten Daches.

Das gefaltete Dach aus massivem Beton erhebt sich bis auf 34 Meter. 7500 Tonnen Beton und 510 Tonnen Stahl wurden verbaut. Doch die Qualität des wasserfesten Betons wurde überschätzt. Bereits nach 10 Jahren musste das Dach mit Kunststoff versiegelt werden. Erst im Jahr 2021 konnte eine Komplettsanierung mit einer Fasermatten-verstärken Betonschicht die ursprüngliche Oberflächenstruktur wieder sichtbar werden lassen.

Gottfried Böhm (1920-2021) war ein international bekannter deutscher Architekt. Die meisten seiner Bauten lassen sich dem Brutalismus, also dem Bauen mit rohem Beton zuordnen. Böhm realisierte in der Nachkriegszeit zahlreiche Kirchenbauten. Der Mariendom in Neviges gilt als sein bekanntestes Werk. Böhm erhielt als einziger deutscher Architekt den begehrten Pritzker-Preis.  Eines seiner letzten Bauten war das Hans-Otto-Theater in Potsdam, ein ebenfalls spektakuläres, skulpturales Gebäude.

Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Nevigeser_Wallfahrtsdom
/2/ https://www.deutschlandfunk.de/50-jahre-mariendom-in-neviges-beten-im-beton-100.html
/3/ https://de.wikipedia.org/wiki/Neviges
/4/ https://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Böhm
/5/ https://www.db-bauzeitung.de/architektur/wallfahrtskirche-in-velbert-neviges/
Die Webseiten wurden am 20.06.2022 abgerufen.

Die Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, wie der Dom offiziell heißt,  steht in Neviges, einem Ortsteil von Velbert in der Nähe von Wuppertal.

Download der Printversion: 169_Mariendom_Neviges_K85-2022