Die Stuttgarter wollen am liebsten gar nichts, und schon überhaupt nicht, wenn es „Irgendwas 21“ heißt. Und dann haben sie die „Bibliothek 21“ doch angenommen, nicht ohne den Bau vorher als „Stammheim II“ oder „Bücherknast“ zu beschimpfen.

Bei manchen Diskussionen möchte man nicht dabei gewesen sein:
„Was? Eine „Bibliothek 21“ wollt ihr bauen, ihr habt sie wohl nicht alle? Und auf dem Bahnhofsgelände? Ein so ein Ding reicht dort, zwei brauchen wir nicht. Und übrigens die Bäume, kein Baum fällt für irgendwas mit 21!!“
„Da sind gar keine Bäume, es war der Güterbahnhof.“
„Aber das Biotop bleibt!“
„Nee, ist verseuchter Untergrund, muss bei der Gelegenheit mit saniert werden.“
„Und kein Tunnel!!“
„Brauchen wir nicht, guckt oben raus.“
„Na dann baut‘s halt. Aber das Gebäude bleibt leer und bekommt keine Fenster!!!“
„O.k., wird berücksichtigt.“
„Und ein Teich und ein Kinderspielplatz muss auch hin.“
„Das hatten wir ohnehin vor.“
So hat die Diskussion zwar nie stattgefunden, aber so könnte es gewesen sein.

Den Architektenwettbewerb gewann der Koreaner Eun Young Yi. Er hatte in Südkorea und in Aachen studiert und war interkulturelles Arbeiten von Anfang an gewohnt. Er plante einen leeren, weißen, fugenlosen Kubus, der sich über vier Etagen erstreckt. Die so entstandene kontemplative Halle ist ein Würfel mit 14 Metern Kantenlänge. Der Raum ist leer und zunächst funktionslos. Die einzige Struktur kommt von angedeuteten Fensteröffnungen, die den Raum lediglich gliedern. Belichtet wird der Raum von oben durch ein blau gefärbtes Oberlicht. Es ist eine Kathedrale der Besinnung, die Trennung von Innen und Außen, von der Hektik des Alltags zur inneren Ruhe der Bibliothek.

Der weiße, fugenlose Innenraum erweckt den Eindruck einer Kathedrale. Er erstreckt sich über vier Etagen und hat keine sichtbare Funktion. Von oben wird der Raum mit einem blauen Fenster aus dem darüber liegenden Lesesaal erleuchtet.

Der große Raum gilt als das Herz des Baus. Um diesen Kubus herum entstand die eigentliche Bibliothek. Die Bücher und Medien stehen auf insgesamt acht Etagen und zwei Tiefgeschossen. Platz ist für eine halbe Million Bücher und Medien. Der Kernbereich der Bücherei ist der Lesesaal mit Freihandbibliothek, der sich vom 4. bis zum 8. Obergeschoß erstreckt. Der ganz in weiß gehaltene und mit Treppen erschlossene große Raum nimmt Anleihen an der Raumstruktur berühmter historischer Bibliotheken und transformiert diese in die heutige Zeit. Der weite Saal wird von Oberlichtern strahlend erhellt. In der Mitte des Raums ist im Fußboden ein großes blaues Bodenfenster eingelassen, das den darunterliegenden Kathedralen-Raum erleuchtet. Die Struktur des Lesesaals ist beeindruckend und prägt sich tief in die Erinnerung der Besucher ein.

Das Bibliotheksgebäude ist ein Würfel mit 40 Metern Kantenlänge und 44 Metern Höhe. Die durch jeweils 9 x 9 Loggias gegliederte Fassade trägt den Charakter als Bücheregal nach aussen. Oben an den Ecken steht der Schriftzug „Bibliothek“ in vier Weltsprachen.

Um diese beiden inneren Räume herum befinden sich neben den Treppen und Aufzügen weitere Bibliotheksräume, Arbeitsplätze, Büros und auch ein Lesecafé in der oberen Etage. Auch einen Kinderspielraum sowie einen 300 Besucher fassenden Veranstaltungsraum gibt es im Untergeschoß.

Nach außen gibt sich der Bau verschlossen. Die doppelwandige Fassade ist nur durch jeweils 9×9 mit Glasbausteinen erstellten Loggias gegliedert. Nur 4 kleine Eingangstüren im gleichen Raster erschließen den Bau nach allen Seiten.
Die Fassade der Bibliothek ist doppelwandig ausgeführt. Vor einer Glasfassade gibt es jeweils eine Loggia aus Glasbausteinen.

Eingehüllt wird der gesamte Würfel von einer großflächigen Glasfassade, die nochmals von einer feingliedrigen, aus Glasbausteinen gefertigten, zweiten Hülle umschlossen wird. Diese ist regalartig gegliedert und soll so das Gefühl einer Bücherei nach außen tragen. Der Bau ist ein Solitär und hebt sich selbstbewusst von der umgebenden Bürobebauung ab.

Die Gebäudeform und die hellgraue Fassade waren für die Stuttgarter natürlich Anlass, den Bau als „Bücherknast“ oder „Stammheim II“ zu verspotten.

Die glatte hellgraue Fassade hat den Bau im Volksmund die Bezeichnung „Bücherknast“ oder „Stammheim II“ eingebracht.

2011 war alles fertig. Seither hat sich die Besucherzahl auf knapp 2 Millionen pro Jahr fast verdoppelt und eine eigene S-Bahn-Station hat die Bücherei jetzt auch. Und übrigens, aus dem geplanten Teich wurde nur ein kleines quadratisches Plätscherbecken im Inneren.

Der Koreaner Eun Young Yi (geb. 1956)  hat in Südkorea und in Aachen Architektur studiert. Er gewann 1999 den Architekturwettbewerb für den Neubau der Stuttgarter Stadtbibliothek, die bis 2011 realisiert wurde. Sein Entwurf für den Neubau des niedersächsischen Landtags in Hannover wurde nach Protesten über den Abriss des alten Gebäudes nicht realisiert.

Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtbibliothek_am_Mailänder_Platz
/2/ https://www.stuttgart.de/tourismus/sehenswuerdigkeiten/stadtbibliothek.php
/3/ https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.architektur-der-neuen-bibliothek-wuerfelspiele-innen-und-aussen.b87785be-97cd-4e6b-9bef-cc1608454b57.html
/4/ https://de.wikipedia.org/wiki/Eun_Young_Yi
/5/ http://www1.stuttgart.de/stadtbibliothek/druck/nb/1_YiArchtitekturkonzept.pdf
/6/ https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.neue-bibliothek-stuttgart-der-trockenste-scherz-des-jahres.e4646ed4-a14a-4edc-b353-3f593d8f427b.html
Die Webseiten wurden am 03.04.2021  abgerufen.

Das Gebäude steht in Stuttgart am Mailänder Platz in Sichtweite vom Hauptbahnhof.

Download der Printversion: 153_Bibliothek_Stuttgart_K77-2021