Wie ein Stachel ragt der weiße Pfeiler der neuen Brücke 118 Meter hoch in den Himmel. Und genauso hoch umstritten ist das Bauwerk, das weithin sichtbar alles überragt und sich wie ein übergroßes Stadttor zum modernen Jerusalem positioniert.
Ist das die „Harfe Davids“ oder die Eitelkeit eines zu ehrgeizigen Architekten und einer noch ehrgeizigeren Stadtverwaltung? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.

In Jerusalem atmet jeder Stein Geschichte. Bei jeder Grabung werden tausende Jahre alte Artefakte gefunden. Ist es in einer solchen Umgebung opportun, die Szenerie mit einem weithin sichtbaren, weißen Segelmast einer ultramodernen, skulpturalen Brücken-konstruktion zu dominieren?
Jerusalem ist keineswegs im Historismus erstarrt. In der Stadt finden sich Bauten aller Baustile. Moderne Hochhäuser stehen in enger Nachbarschaft mit Jahrtausende alten Kirchenbauten. Selbst der Stil des Bauhauses hat in großem Umfang in Jerusalem eine Heimat gefunden. Die Klammer, die all dies zusammenhält, war bisher das Material. Nahezu alle Gebäude sind mit dem gleichen, hellgelben Jerusalemer Kalkstein verkleidet und formen damit ein weitgehend einheitliches Bild. Doch auch damit bricht der Brückenneubau und erscheint in dominierendem Weiß aus Stahl und Glas. Es ist halt doch etwas besonderes.

Wie kam es zu dem Bauwerk? Jerusalem wächst und wächst und erstickt im Verkehr. Neben dem Neubau einer Bahnlinie nach Tel Aviv plante die Stadtverwaltung bereits seit den 1980er Jahren auch eine Straßenbahn. Die erste der neuen Linien soll Ost-Jerusalem mit der Altstadt, dem neuen Bahnhof und den Vierteln im Westen verbinden. Nötig dafür war die Überquerung einer weitläufigen Kreuzung der aus Tel Aviv ankommenden Auto-bahn A1. Der spanische Architekt Santiago Calatrava entwarf einen freitragenden, weiten Bogen, der an Stahlseilen an einer einzigen 118 Meter hohen, weißen Pylone hängt. 66 Stahlseile tragen die Straßenbahngleise und einen Fußgängerweg. Die Autos müssen weiterhin unter der Brücke durch. Da es die Hauptzufahrtsstraße nach Jerusalem ist, bekommt der Bau den Charakter eines überdimensionierten, weißen Stadttores. Der Pfeiler und die ebenfalls weißen Stahlseile sind viele Kilometer weit zu sehen.


Die Brücke wurde nach langen Diskussionen 2008 fertiggestellt. 2011 konnte dann auch die Straßenbahn in Betrieb genommen werden. Zur Zeit entsteht um die Brücke herum ein neues Hochhausviertel, so dass die Brücke auch den Eingang ins moderne Jerusalem markiert.
Der spanische Architekt und Bauingenieur Santiago Calatrava (geb. 1951) lebt in Zürich und New York. Er ist bekannt für kühne und spektakuläre Bauten rund um die ganze Welt. Seine meist weißen, hoch aufragenden und überhängenden Bauten und Brücken sind häufig Wahrzeichen der Städte, in denen sie errichtet wurden. Weithin bekannt sind das Auditorium in Teneriffa, ein Kulturzentrum in Valencia und das Bahnhofsgebäude in Lüttich. Auf den Brückenbau in Jerusalem blickt der Architekt mit besonderem Stolz.
Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtbahn_Jerusalem
/2/ https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen_Calatrava-Bruecke_in_Jerusalem_eingeweiht_228736.html
/3/ https://en.wikipedia.org/wiki/Chords_Bridge
/4/ http://www.israelheute.com/Nachrichten/Artikel/tabid/179/nid/16443/Default.aspx
/5/ https://calatrava.com/projects/bridge-of-strings-light-rail-train-jerusalem.html
/6/ https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/das-neue-tor-zur-stadt/
Die Webseiten wurden am 21.04.2019 abgerufen.
Die Brücke überspannt die Westeingang von Jerusalem am Ende der Autobahn 1 von Tel Aviv.
Download der Printversion: 107_Jerusalem_Bahnbruecke_K54-2019