Bereits seit der Antike wurden markante Bauten genutzt, um Städten, Plätzen oder auch ganzen Dynastien ein Gesicht zu geben. Gute Architektur dafür ist programmatisch, zukunftsweisend und identitätsstiftend.

Um 1900 wollte sich die Darmstädter chemisch-pharmazeutische Fabrik Merck aus den Zwängen der Innenstadtlage befreien und plante ein neues Werksgelände im Norden der Stadt. Der gerade frisch zum Professor an der Technischen Hochschule in Darmstadt ernannte Friedrich Pützer bekam den Planungsauftrag für den zentralen Eingangsbereich, die Verwaltung, mehrere Laboratorien und eine Wohnsiedlung. Mit dem zentralen Wohn- und Verwaltungsbau wollte Pützer, beeindruckt von der aufkommenden amerikanischen Wolkenkratzerarchitektur, eine Dominate schaffen: Modern, hoch und zukunftsweisend. Doch so einfach war es nicht. Die deutschen Regularien erlaubten nur eine Höhe von 22 Metern für das oberste Nutzgeschoß. Soweit reichten die Leitern der Feuerwehren.

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Pützerturm in Darmstadt. Ein einfache Gliederung der Fassade harmoniert mit barocken und Jugendstil-Zierelementen.

Und trotzdem erhielt Darmstadt 1904 das erste Wohnhochhaus. Der sechsgeschossige, traditionell ausgeführte Ziegelbau mit annähernd quadratischem Grundriss erhielt ein zweistufiges, hoch aufragendes Mansardendach, darauf einen 8 Meter hohen Uhrturm und eine barocke, mehrstufige Turmhaube. Insgesamt erreicht das Gebäude eine Höhe von 40 Metern, die für ein freistehendes Wohn- und Gewerbegebäude in Deutschland erst 1916 mit dem ebenfalls von Pützer geplanten Hochhaus „Bau 15“ im Zeisswerk in Jena übertroffen wurde.

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Pützerturm in Darmstadt. Der schlichte, symmetrische Bau kombiniert barocke Elemente, wie die Balustraden und die Turmhaube mit Anklängen des Jugendstils in den Ochsenaugenfenstern im Obergeschoß und dem Zifferblatt der Turmuhr.

Seine charakteristische Form erhielt das Gebäude durch zwei seitliche Anbauten mit ebenfalls hohem Dach. Stilistisch wagt Pützer mit dem Bau eine Symbiose aus Tradition und Moderne. Der schlichte, symmetrische Bau kombiniert barocke Elemente, wie die Balustraden und die Turmhaube mit Anklängen des Jugendstils in den Ochsenaugenfenstern im Obergeschoß und dem Zifferblatt der Turmuhr.

Ursprünglich beherbergte das Gebäude in den unteren beide Etagen den Portier und die Räume der Betriebskrankenkasse. Die oberen Etagen waren Zweiraumwohnungen für Angestellte.

Nach der Renovierung 2018 bildet der heute als Büro genutzte Bau einen Ankerpunkt in der neuen Zentrale von Merck. Im September 2018 wird/wurde das Gebäude von der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GdCH) ausgezeichnet als  „Historische Stätte der Chemie“.

 

Der damals einflussreiche Architekt Friedrich Pützer  (1871-1922) wurde 1902 Professor für Städtebau an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Bekannt wurde er durch sein städteplanerisches Engagement, den Bau des Darmstädter Hauptbahnhofes und durch zahlreiche Kirchenbauten. Für das Zeisswerk in Jena baute er 1916 das erste freistehende Hochhaus in Deutschland.

Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Pützerturm
/2/ https://www.gdch.de/service-information/oeffentlichkeitsarbeit/pressedienst-chemie.html#_c34985
/3/ Regina Stephan (Hrsg.), Friedrich Pützer, „In die Umgebung hineingedichtet“, Bauten und Projekte, Spurbuchverlag Baunach, 2015
/4/ http://www.darmstadt-stadtlexikon.de/p/puetzer-friedrich.html
/5/ https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Pützer
Die Webseiten wurden am 28.08.2018 abgerufen.

Das Gebäude steht in Darmstadt, Frankfurter Straße 250.

(Text und Bilder enthalten Werbung)

Download der Printversion: 83_Puetzerturm_Merck_K42-2018