Das Gebäude der Wiener Postsparkasse des Architekten Otto Wagner gilt als eines der bedeutendsten Jugendstil-Bauten Wiens und als programmatische Pionierleistung der Moderne. Es dominiert die Sachlichkeit und Funktionalität.
Wer bisher dachte, Jugendstil-Gebäude an der überbordenden floralen Ornamentik zu erkennen, wird hier eines Besseren belehrt. Und das im Zentrum von Wien, der Stadt, die um die Wende zum vorigen Jahrhundert dem Jugendstil zum internationalen Durchbruch verholfen hat. Das von Otto Wagner 1904-12 geschaffene Bankgebäude ist sachlich kühl und rein funktional. Auf dem ersten Blick gibt es keine unnötigen Verzierungen und auch keine aufgesetzte Ornamentik.

Der durch ein tonnenförmiges Glasdach erhellte Kassensaal strahlt auch nach über 100 Jahren noch Modernität und schlichte Eleganz aus. Bei den Einbauten kommt zum ersten Mal in größerem Umfang Aluminium als Werkstoff zum Einsatz. Die Lüftungsauslässe und die Verkleidung der Pfeiler fügen dem sonst in weiß gehaltenen Ambiente eine weitere kühle Komponente hinzu. Die Bankschalter in dunklem Holz stehen dazu in einem schon wohnlichen Kontrast.

Der Gebäudekomplex steht in Wien an der Ringstraße gegenüber dem damaligen Kriegsministerium. Die üppige neoklassizistische Dekoration des Ministeriumsgebäudes kontrastiert Otto Wagner mit einer zurückhaltenden Marmorfassade. Bis auf die Stützen des kleinen Vordachs gibt es keine Säulen. Eine bis über die erste Etage reichende Sockelverkleidung und eine hervorgehobene Traufkante sind die wenigen Zierelemente. Charakteristisch sind die zahlreichen aluminiumbeschichteten Ziernägel an den Marmorplatten der Wandverkleidung. Sie geben der ansonsten glatten Fassade eine eigenwillige Gliederung.
Über den Eingangsbereich thronen zwei Engel. Die beiden Figuren sind eindeutig dem Jugendstil zuzuordnen. Sie sind aus Aluminiumguss und stammen von dem österreichischen Bildhauer Othmar Schimkowitz. Der Schriftzug über dem Portal könnte auch schon aus einem Bauhausentwurf stammen, wenn es das 1905 schon gegeben hätte.
Der trapezförmige Gebäudekomplex hat drei Innenhöfe. Der mittlere Hof wird von dem glasüberdachten Kassensaal belegt. Hier befindet sich auch eine weitere Besonderheit der Architektur Wagners. Der Fußboden ist mit Glasbausteinen ausgeführt. So bekommt auch die im Untergeschoß liegende Schließfachhalle Tageslicht.
Wie Skulpturen aus einer anderen Welt wirken die im Kassensaal aufgestellten Lüftungsauslässe aus Aluminium. Die mannshohen Rohre scheinen mit den Besuchern sprechen zu wollen und stehen als Wächter vor den Bankschaltern. Damals sollte man offensichtlich noch ehrfürchtig vor dem Bankschalter erscheinen.
Das Gebäude, das in den oberen Etagen eine sehr moderne Bürogestaltung hat, wird noch heute als Bankgebäude genutzt.
Der Österreicher Otto Wagner (1841-1918) gilt als der bedeutendste Architekt Wiens. Seine Jugendstilbauten sind programmatisch und verhalfen ihm an der Schwelle des 20. Jahrhunderts zu Weltruhm. Er gilt auch als hervorragender Stadtplaner. Mit dem Postsparkassengebäude wurde er zum Urvater der Neuen Sachlichkeit. Sein Schüler Joseph Maria Olbrich, wie Wagner Mitglied der Wiener Secession, wechselte 1905 nach Darmstadt und gestaltete die Darmstädter Mathildenhöhe.
Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Postsparkasse
/2/ https://www.ottowagner.com/oesterreichische-postsparkasse/
/3/ http://www.freets.at/postsparkasse/
/4/ Sabine Thiel-Siling (Hrsg.), Architektur! Das 20. Jahrhundert, Prestel-Verlag München, 1998
/5/ https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Wagner
Die Webseiten wurden am 2706.2017 abgerufen.
Das Gebäude steht in Wien, Georg-Coch-Platz 2 und ist öffentlich zugänglich.
Download des Textes als PDF: J01_Postsparkasse_Wien_K21-2017