Der Architekt Martin Schwarz schuf mit dem Milchhof in Arnstadt ein eindrucksvolles Beispiel der Umsetzung der gestalterischen und sozialen Ideen des Bauhauses. Nach Jahren des Verfalls zieht langsam neues Leben in das Baudenkmal ein.
In der Pop-Musik ist die Bezeichnung „One hit wonder“ gebräuchlich, wenn Künstler in ihrem Leben nur einen einzigen Song in den Hit-Listen platzieren konnten. Ähnlich verhält es sich mit der Bauhaus-Karriere des Arnstädter Architekten Martin Schwarz. Dabei hat er in der thüringischen Kleinstadt Arnstadt und im benachbarten Erfurt doch zahlreiche Spuren hinterlassen. Die Liste ist beachtlich: Mehrere Stadthäuser, ein Schulgebäude, eine Synagoge, Privatvillen und auch eine Friedhofskapelle. Bei diesen Bauten blieb er meist traditionell und wenig auffällig.

Nur mit einem einzigen Bau schaffte er es in die Hitlisten der Architekturgeschichte. Für die Molkereigenossenschaft in Arnstadt baute Martin Schwarz 1928 ein Produktionsgebäude. Dabei griff er tief in die Werkzeugkiste der Bauhaus-Schule. Er schuf einen funktionalen Bau, in dem die einzelnen Arbeitsabläufe in sichtbar separaten Gebäudeteilen stattfinden. Für den Zugang, die Anlieferung, die Verwaltung und die Produktion ist jeweils einer der ineinander versetzten Kuben des Gebäudes vorgesehen. Auf der Vorderseite finden sich der Eingang mit dem Treppenhaus-Riegel, eingeschoben in ein zweistöckiges Verwaltungsgebäude. Im daran anschließenden, etwas zurückgesetzten Kubus finden sich die Produktions- und Lagerräume und der Lieferbereich. Auch großzügige Sozialräume waren vorgesehen. Damit entsprach Martin Schwarz den Idealen des Bauhauses, eine am Menschen orientierte, funktionale Gestaltung des Gebäudes zu planen.
Das Ganze packte er in einfache, ineinander geschobene, kubische Grundformen. Ein horizontales Fensterband umschließt den Bau und wirkt als verbindendes Element zwischen den einzelnen Gebäudeteilen. Nur das erhaben hervorstehende Treppenhaus unterbricht dieses Band und trägt damit zur skulpturalen Wirkung dieses einfachen Baus bei. Das Sichtmauerwerk aus mehrfarbigen Klinkern ist sehr dauerhaft und belebt auch nach Jahrzehnten noch die Fassade. Ein umlaufender grauer Sims unter den Fenstern im Obergeschoß und an der Dachkante unterstreicht den kubischen Gesamteindruck.
Den Idealen des Bauhaus folgend hat der Bau noch weitere Besonderheiten zu bieten. Im östlichen Kopfbau über den Laderampen für die Fertigprodukte ist eine Wohnung für den Betriebsleiter integriert. Die Wohnung liegt hinter dem zurückgesetzten Balkon im Obergeschoß. Weiterhin gibt es hier auch Schlaf- und Aufenthaltsräume fürs Personal.
Der Milchhof wurde 1928 fertiggestellt. Bis 1990 war der Bau als Milchhof nahezu ohne Unterbrechung in Betrieb. Trotz einiger teils rabiater Umbauten bliebt die Gebäudestruktur über die Jahre in Takt. Erst nach 1990 begann der Verfall. Vandalismus, eindringender Regen und Plünderungen setzten dem denkmalgeschützten Gebäude zu. Fehlende Nutzungskonzepte, wechselnde Eigentümer und Abrisspläne taten ein Übriges. Erst seit 2014 ist der Bau im Besitz eines privaten Vereins, der sich der denkmalgerechten Wiederherstellung verschrieben hat. Die ersten Bausicherungsmaßnahmen und eine kleine Teilrenovierung konnten bereits umgesetzt werden. Geplant ist ein Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum.
Der in Frankfurt am Main geborene Architekt Heinrich Martin Schwarz (1885-1945) errichtete an seinem Wohnsitz in Arnstadt und in Erfurt zahlreiche Gebäude. Obwohl er keinen direkten Bezug zum Bauhaus hatte, setzte er mit dem funktionalen Gebäude des Milchhofes in Arnstadt die sozialen Ideen und gestalterischen Prinzipien der Bauhauslehre in einzigartiger Weise um. Das Gebäude ist ein Baudenkmal von internationalem Rang.
Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Alter_Milchhof_(Arnstadt)
/2/ http://milchhof-arnstadt.de/2015/09/24/milchhof-arnstadtein-gebaeude-und-sein-quartier/#more-12
/3/ http://milchhof-arnstadt.de/2017/05/05/der-milchhof-arnstadt-und-was-daraus-werden-soll/
/4/ https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Martin_Schwarz
/5/ http://milchhof-arnstadt.de/2015/10/04/bauhaus_urknall_der_moderne/
/6/ http://milchhof-arnstadt.de/2015/10/04/berufen-die-bevoelkerung-zu-versorgen/
Die Webseiten wurden am 05.06.2017 abgerufen.
Das Gebäude steht in Arnstadt in Thüringen in der Quenselstraße 16.
Download des Textes als PDF: G11_Milchhof_Arnstadt_K20-2017