Der Verfall kam erst in den Neunzigern, als man von den „blühenden Landschaften“ sprach. Nach langem Rechtsstreit wird der Bau von 1930 im Ostteil von Berlin zu einem Anziehungspunkt im wiederentstehenden jüdischen Viertel.

Da hatte ich den Galeristen in der CAMERA WORKS Galerie gefragt, ob er mir kurz was zu dem Gebäude erzählen kann: „Es war eine jüdische Mädchenschule.“ Und dann verwies er auf zwei Vitrinen im Erdgeschoss, nicht ohne den Hinweis, dass es länger dauern könnte. Dass Gebäude in Berlin geschichtsträchtig sein können, wusste ich. Was ich nicht erwartet hatte: Auch die letzten Jahre sind an Brisanz nicht zu überbieten.
Doch von Anfang an: Es war das Jahr 1930, als die bereits seit fast hundert Jahren bestehende jüdische Mädchenschule in ihr neues Gebäude umziehen konnte. Der jüdische Architekt Alexander Beer baute das Gebäude nach den modernsten Gesichtspunkten im Stil der Neuen Sachlichkeit, die Stilrichtung, die später als Bauhaus-Stil international bekannt wurde. 14 Klassenräume, eine Turnhalle sowie ein Dachgarten als Aufenthalts- und Pausenraum, es war eines der modernsten Schulgebäude der Stadt.
Mit dem Jahr 1933 nahmen in Berlin die Repressalien für die jüdische Bevölkerung zu. Per Gesetz wurde der Zugang jüdischer Schüler zu öffentlichen Schulen eingeschränkt. Die im jüdischen Eigentum befindliche Mädchenschule war oft die einzige Alternative. So stiegen die Schülerzahlen von knapp 400 auf über 1000 an. Das Gebäude überstand die Pogromnacht von 1938. Doch durch Deportation und Flucht besuchten immer weniger Kinder die Schule. 1942 wurde die Schule per Gesetz geschlossen und die meisten der noch vorhandenen Lehrer wurden deportiert. Bis zum Ende des Krieges diente das Gebäude als Militärkrankenhaus.
Das Haus überstand den Krieg ohne größere Zerstörungen. Im Ostteil von Berlin gelegen, wurde der Bau wieder Schulgebäude und 1950 als Polytechnische Oberschule „Bertold Brecht“ erneut in Betrieb genommen. Ohne größere Umbauten überdauerte das Gebäude weitere 50 Jahre. Das funktionelle Nutzungskonzept des Architekten Alexander Beer war offensichtlich auch für das ostdeutsche Bildungswesen zukunftsfest. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung, in der Zeit als Bundeskanzler Kohl von blühenden Landschaften sprach, begann der Niedergang.
Durch Rückgang der Geburtenzahlen und Wegzug nahmen die Schülerzahlen im Osten von Berlin schnell ab. Nur 6 Jahre nach der Wiedervereinigung wurde die Schule wegen Schülermangels geschlossen. Bedingt durch die nicht geklärten Eigentumsverhältnisse wurde der noch intakte Bau mehr als zehn Jahre lang dem Verfall überlassen.
Kurzzeitig im Jahre 2006 gab es Hoffnung, als das Gebäude anlässlich der 4. Berlin-Biennale für ein paar Monate für Ausstellungen geöffnet wurde.
Doch die Klärung der Eigentumsrechte an jüdischen Gebäuden in Berlin gestaltete sich schwierig. Erst nach langjährigen Gerichtsprozessen mit Hilfe der „Jewish Claims Conference“ gelang es 2009, den gesamten Gebäudekomplex in der Auguststr. 11-17 wieder in das Eigentum der jüdischen Gemeinde von Berlin zu überführen. Die Gebäude liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zur jüdischen Synagoge in der Oranienburger Straße.
Es dauerte weitere Jahre, bis auf Initiative des Berliner Galeristen Michael Fuchs die behutsame Renovierung des denkmalgeschützen Schulgebäudes eingeleitet werden konnte. Das Architekturbüro Grüntuch-Ernst übernahm den Umbau und stellte die Fassade und auch das Innere des Baus im Flair der zwanziger Jahre wieder her.
Seit der Neueröffnung im Jahre 2012 haben zwei Restaurants, das Kennedy-Museum und mehrere Galerien das Gebäude zu einem interessanten Treffpunkt im wieder jüdisch geprägten Galerieviertel der Spandauer Vorstadt gemacht.
Der Architekt Alexander Beer (1873-1944) hat in Berlin-Charlottenburg und Darmstadt studiert und wurde 1910 Gemeindebaumeister und Leiter des Bauamtes der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Er schuf zahlreiche Gebäude in Berlin. Beer wurde 1943 ins KZ Theresienstadt deportiert und im Mai 1944 ermordet.
Literatur:
/1/ http://www.maedchenschule.org/de/architektur.html
/2/ https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Mädchenschule_(Berlin)
/3/ https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Sachlichkeit_(Architektur)
/4/ http://www.artberlin.de/galerie/juedische-maedchenschule/
/5/ http://www.visitberlin.de/de/ort/ehemalige-juedische-maedchenschule
Die Webseiten wurden am 05.01.2017 abgerufen.
Das Gebäude steht in der Auguststr. 11-13 in der Spandauer Vorstadt von Berlin.