In keiner Stadt der Welt haben die Ideen des Bauhaus so prägende Spuren hinterlassen wie in Tel Aviv. Die „Weiße Stadt“ entdeckt in unseren Tagen ihre Geschichte wieder und macht sie erneut lebenswert.

Die wirkliche Hauptstadt der Bauhaus-Architektur ist Tel Aviv, nicht Dessau, Stuttgart oder Berlin. In Deutschland fanden die Bauhaus-Siedlungen von Dessau-Törten oder Karlsruhe-Dammerstock (im Volksmund „Jammerstock“) wenig Akzeptanz. Die Machtübernahme der Nazis führte dann nicht nur zur Auflösung der Bauhaus-Schule in Dessau, sondern vor allem im Wohnungsbau zu historisierenden Bauweisen aller Couleur. Flachdach und große Fenster wichen Fensterläden und Blumenkästen. Eine ganze Generation vor allem jüdischer Architekten musste aus Deutschland fliehen. Im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina fanden viele von ihnen eine neue Heimat und aufgeschlossene Auftraggeber für die Ideen einer modernen Architektur.
Tel Aviv war eine Neugründung. Auf Initiative hauptsächlich russischer und polnischer Einwanderer wuchs die Stadt von der kleinen Hafensiedlung Jaffa aus in den Sand der Küstenregion am Mittelmeer. In den 1920er Jahren entstand unter der britischen Mandatsmacht ein Siedlungsplan für eine Gartenstadt, aufgestellt vom Schotten Sir Patrick Geddes. Der Plan konnte aber nur kurzzeitig die explodierende Stadtentwicklung kanalisieren. Der Beginn der heute „Rothschild-Boulevard“ genannten, mit einer Doppelreihe Bäumen bewachsenen Allee ist vielleicht das einzige noch heute sichtbare Zeichen dieses Versuches der Stadtentwicklung.

In den 1930er Jahren brach die Einwanderungswelle aus Deutschland über Tel Aviv herein. Es musste schnell und einfach, aber auch städtisch gebaut werden. Architekten wie Erich Mendelsohn und Julius Posner brachten die Vorstellungen des Bauhauses in der Bauweise und in der Gestaltung mit. Die herauskragenden Balkons spendeten Schatten. Vertikale Fensterbänder erlaubten natürliche Belüftung und durch das Ständertragwerk konnte man beschattete Eingangsbereiche schaffen, die den fehlenden Garten zumindest zum Teil ersetzten. Diese Ideen wurden gerne angenommen.
So entstand die „Weiße Stadt“ mit mehr als 4000 Gebäuden im hier „International Style“ genannten Bauhausflair.
Erst 1909 begann die Siedlungsgeschichte von Tel Aviv. Die Stadt wuchs schnell und erlebte in den 1930er und 1940er Jahren einen regelrechten Boom, getragen von vielen Auswanderern, die aus Deutschland vor den Nazis fliehen konnten. Man sagt, dass etwa die Hälfte der Architekten, die in dieser Zeit gebaut haben, aus Deutschland stammten oder bei den großen Bauhaus-Architekten um Walter Gropius studiert oder gearbeitet haben. So entstand mit einem Ensemble von mehr als 4000 Gebäuden die „Weiße Stadt“.
Literatur:
/1/ Micha Gross, Preservation and Renewal, Bauhaus and International Style Buildings in Tel Aviv, Bauhaus Center Tel Aviv, 2015
/2/ Stefan Boness, The White City Tel Aviv, Jovis Verlag GmbH, Berlin, 2014
/3/ Günther Förg, Photographs, Bauhaus Tel Aviv Jerusalem, Hantje Cantz Verlag 2002
/4/ https://de.wikipedia.org/wiki/Weiße_Stadt_(Tel_Aviv), abgerufen am 12.10.2016
/5/ Weiße Stadt Tel Aviv: Zur Erhaltung von Gebäuden der Moderne in Israel und Deutschland, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn 2015
/6/ Gespräche im Bauhaus Center in Tel Aviv und während der Stadtführung 2015/16
Text als PDF downloaden: T01_Tel Aviv-The White City_K5-2016