Da tauchte die Frage wieder auf: Darf man in ein geschlossenes Ensemble von sehenswert dekorierten, historischen Gebäuden einen modernen Bau setzen, der die anderen Gebäude überragt und auch noch dominant hervorspringt?
Prag hat letztendlich entschieden: Ja, man darf. Die Innenstadt von Prag hat zahlreiche historische Gebäude, sehenswerte Gründerzeit-Bauten und viele üppig dekorierte Jugendstil-Gebäude. Die meisten der Bauten haben den zweiten Weltkrieg ohne größere Zerstörung überstanden. An einer Ecke gab es aber doch einen Treffer. Angeblich versehentlich wurde das dortige Wohnhaus durch amerikanische Bomber zerstört. Es ist eines der schönsten Grundstücke der Innenstadt, direkt an der Moldau, an einer Brücke mit Blick auf die Prager Burg. Fast fünfzig Jahre blieb das Grundstück unbebaut.

Der spätere tschechische Präsident Václav Havel wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft. Er diskutierte bereits in den 1980er Jahren mit dem Architekten Vlado Milunić den Neubau eines Zentrums für kulturelle Aktivitäten mit Bibliothek, Café und Theater an dieser Stelle. Doch es fehlte das Geld und die politischen Aktivitäten waren plötzlich wichtiger geworden. Erst nach der samtenen Revolution am Anfang der 1990er wurde der Vorschlag wieder aufgegriffen und ein Investor gesucht.
Eine niederländische Versicherungsgesellschaft kaufte das Grundstück und finanzierte den Bau. Die Idee des tschechischen Architekten Milunić, mit einem statischen und einem dynamischen Element den gesellschaftlichen Umbruch widerzuspiegeln, wurde dem kanadisch-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry präsentiert. Er griff diese Idee auf und gestaltete zusammen mit Milunić diesen ungewöhnlichen Bau.
Zwei Ecktürme, ein verschlossener, zylindrischer Baukörper und ein gläserner, offener und taillierter Turm schmiegen sich eng aneinander. Sie stehen auch noch weit in die Straße hineinragend vor dem konventioneller anmutenden Hauptbau. Es ist ein Duett zweier verbundener Gegensätze. Ein Vergleich zu einem Tanzpaar drängt sich auf: Ginger und Fred, das legendäre Tanzpaar Ginger Rogers und Fred Astaire aus den 1930er Jahren.

Der Bau wurde 1996 fertiggestellt. Von der ursprünglichen Idee des Kulturzentrums blieb zunächst nicht viel übrig. Der Investor wollte Büros. Mit Fertigstellung begannen die Diskussionen. Der dekonstruktivistische Bau zerstört das Gesamtensemble der Prager Altstadt, die Überbauung des Gehweges ist eine Unfallquelle, es ist ein Fremdkörper in der Stadt, so die Kritiker. 2016 bekam das Gebäude einen neuen Eigentümer. Eine Galerie zog ein. Es gibt ein Restaurant und eine Panoramabar und nach und nach wurden Büros zu einem Hotel um-gebaut. Es wurde ein Touristenmagnet.
Die Innenstadt von Prag ist bekannt für viele historische Bauten. Aber nicht nur die Gebäude, auch das Lebensgefühl der Prager ist einzigartig. Und so wundert es nicht, dass so ein extravaganter Bau wie das Tanzende Haus Diskussionen aufwirft. Es ist dem visionären Entwurf der Architekten Vlado Milunić (geb. 1941) und Frank Gehry (geb. 1929) zu verdanken, dass dieser Bau heutzutage weitgehende Akzeptanz findet und eines der architektonischen Highlights in Prag geworden ist.
Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Tanzendes_Haus
/2/ https://prag.sehenswuerdigkeiten-online.de/sehenswuerdigkeiten/tanzendes_haus.html
/3/ https://prag.de/das-tanzende-haus-in-prag-sehenswuerdigkeit-geschichte-bilder-infos-gefahren
/4/ https://deutsch.radio.cz/streifzug-durch-die-architektur-tanzendes-haus-8122632
Die Webseiten wurden am 11.11.2020 abgerufen.
Das Gebäude steht in Prag, direkt an der Moldau, Rašínovo nábřeží 80.
Download der Printversion: 143_Tanzendes_Haus_Prag_K72-2020