Das 1911 errichtete Fagus-Werk in Alfeld gilt als der Beginn einer neuen Epoche in der Architektur. Klares Design, funktionale Ausrichtung und der Verzicht auf Schnörkelei und Historismus waren der Ausgangspunkt für das Bauen der Neuzeit.

Im 100. Gründungsjahr des Bauhauses in Weimar wollte natürlich jeder der Trendsetter gewesen sein. Die bahnbrechenden Ideen waren breit diskutierte Vorstellungen der damaligen Zeit. Ob nun Peter Behrens in Darmstadt und Berlin oder Alfred Loos und Otto Wagner in Wien oder die Hochhausbauer in New York, jeder hatte schon etwas beigetragen zum Bauen der Zukunft.

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Das Erscheinungsbild des Gebäudes ist zeitlos modern.

Jedoch nur einer hat es dann wirklich hingestellt, ohne Säulenportal, ohne schmiedeeisernen Zierrat, ohne barocke Formen und ohne die geschwungenen Jugendstilornamente. Und das war 1911,  fünfzehn Jahre vor dem Bauhausgebäude in Dessau. Es war der damals 28jährige Walter Gropius, der damit eine ganze Epoche prägen sollte, mit einem Bau, der auch heute noch in die Zeit passt.

Gropius, der nach seinem Studium in München einige Jahre im Büro von Peter Behrens in Berlin zugebracht hatte, kannte die Ideen und Ideale des Neuen Bauens. Zusammen mit Adolf Meyer hatte er sich 1910 mit einem eigenem Büro in Berlin niedergelassen. Da kam der Auftrag für ein großes Industriegebäude gerade recht. Der Unternehmer Carl Benscheidt in Alfeld in der Nähe von Hannover plante ein neues Fabrikgebäude. Seine sozial fortschrittliche Einstellung, den Arbeitern gute Bedingungen und vor allem Zugang zum Licht zu ermöglichen, traf sich mit den Ideen von Gropius für eine moderne, transparente Architektur.

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Eine scheinbar durchgehende Glasfassade gibt dem Bau ein lichtes Erscheinungsbild.

 

Es wurde in dieser Zeit viel theoretisiert: über die Aufhebung der Grenzen des Raumes, über die Verwandlung der Arabeske zur konstruktiven Linie, über das Monumentale und viele andere abstrakte Vorstellungen, was Architektur leisten soll. Doch Gropius plante nur einige weinige, bisher nie dagewesene Neuerungen für seinen Bau. Er legte den Haupteingang unscheinbar an die schmale Seitenfront des Gebäudes. Er verglaste die Fassade fast vollständig, mit dünnen, unauffälligen Rahmen. Lediglich schmale, zurückgesetzte Ziegelstreifen bleiben sichtbar. Er verzichtete auf Stützen an den Gebäudeecken. Hier stößt im rechten Winkel Glasfenster auf Glasfenster. Die Bauform ist ausschließlich kubisch und horizontal gegliedert, es gibt keine Schrägen. Lediglich bautechnisch bleibt er traditionell. Es ist ein klassischer Ziegelbau. Um die Stabilität zu wahren, neigt er die schmalen Säulen der Fassade wenige Zentimeter nach innen, ein Trick, der auch schon in der Antike verwendet wurde. Er erreicht eine beeindruckende Leichtigkeit des Gebäudes.

1913 wurde der Bau ohne großes Aufsehen in Betrieb genommen. Heute ist es unumstritten das Ursprungswerk moderner Industriearchitektur und seit 2011 UNESCO-Weltkulturerbe.

Das Erstlingswerk von Walter Gropius (1883-1969), der gemeinsam mit Adolf Meyer (1881-1929) entworfenen Bau für das Faguswerk in Alfeld, wurde zum programmatischen Ausgangspunkt der Architektur der Moderne. Die scheinbar durchgehende Glasfassade, die kubische Gebäudestruktur und die horizontale Fassaden-gliederung wurden zu den prägenden Merkmalen der Architektur unserer Zeit.

Literatur:
/1/ G. C. Argan, Gropius und das Bauhaus, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek, 1962
/2/ M. Droste, Bauhaus, Taschen GmbH, Köln, 2015
/3/ https://de.wikipedia.org/wiki/Fagus-Werk
/4/ https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/fagus-werk-alfeld
/5/ https://www.n-tv.de/reise/Fagus-Fabrik-ausgezeichnet-article3667091.html
Die Webseiten wurden am 04.09.2019  abgerufen.

Der Gebäudekomplex steht an der Hannoverschen Straße 58 in Alfeld (Leine).

Download der Printversion: 115_Faguswerk_Alfeld_K58-2019