Es gibt sie noch, die kleinen Toiletten-Pavillons. Nicht nur in Paris, wo die Häuschen zur Architekturgeschichte gehören, auch in Darmstadt haben sich die Baugestalter ausgetobt.

Pragmatismus gehört heutzutage nicht gerade zu den Stärken der deutschen Siedlungspolitik. Früher war das anders. Da stellte man vorsorglich kleine, immer geöffnete Klohäuschen auf, um sich nicht ständig die Treppen und Eingänge zupinkeln zu lassen. Auch musste man damals noch keinen Restaurantgutschein kaufen, um mal zu können, wenn man mal muss.

Für Architekten und Bauplaner ist es bis heute eine ungeliebte Herausforderung, so etwas zu bauen. Zu divergent sind die Erwartungen und Anforderungen. Vor gut hundert Jahren war das noch anders. Wo dringender Bedarf war, wurde gebaut und zwar genau für diesen Bedarf.

In Darmstadt gibt es zwei Beispiele, die architektonisch den Zeitgeist spüren lassen und doch heute irgendwie aus der Zeit gefallen sind.

201903183549-10
Dominant schließt der kleine Pavillon an der Alexanderstraße das Ende einer langen Stützmauer ab.

1906 wurde die Begrenzungsmauer an der Kaserne verlängert. Ein architektonischer Abschluss musste her. Was lag näher als das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Es entstand am Ende der Mauer ein kleiner runder Pavillon mit barocken Außenformen, dessen Inneres nur eine Rinne für die Bedürfnisse der aus den Kneipen zurückkommenden Soldaten war. Der Eingang ist seitlich versteckt und dadurch blickgeschützt. Eine Tür gibt es keine und auch keine sonstigen Vandalismus-gefährdeten Einbauten. Das Häuschen kann auch nicht ab 18.30 Uhr geschlossen werden oder nur mit Münzeinwurf benutzt werden. Es ist einfach da.

Das Haus ist nicht genderspezifiziert, eignet sich aber nur für Personen, die ihr kleines Geschäft im Stehen verrichten können. Die Franzosen waren damals bereits weiter, da ging es genderneutral schon im Hocken. Aber wir sind ja in Darmstadt. Und erstaunlicherweise steht das Haus auch heute noch unverändert zur Verfügung, mitten in der Stadt  hinter dem neuen Konferenzcenter Darmstadium und gegenüber den Gebäuden der Universität.

Etwas moderner geht es in dem Bau am Spessartring zu. Das Konzept ist gleich. Ein runder Pavillon mit einer umlaufenden Rinne, keine Tür, keine weiteren Einbauten. Der Baustil des in den fünfziger Jahren errichteten Häuschens folgt den Vorstellungen der Moderne: Schlicht, rund, Flachdach, oben eine Reihe in Beton gefasste Fensteröffnungen, keine weiteren Verzierungen. Nur einen separat aufgestellten Wellblech-Sichtschutz gibt es. Die Außenfarbe ist provokativ weiß, was natürlich die Sprayer anlockt. Aber jemand kümmert sich, die Graffitis verschwinden meist nach wenigen Tagen. Strategisch positioniert ist der Bau gegenüber eines großen Biergartens und ums Eck von einer der in Darmstadt noch häufigen, „Trinkhalle“ genannten Kioske.

Öffentliche Toiletten sind in deutschen Städten seit viele Jahren ein Problem. Meist sind sie irgendwo versteckt, häufig kostenpflichtig und vielerorts in schlechtem Zustand. Offensichtlich konnte man in früheren Zeiten besser damit umgehen. Zwei Beispiele aus Darmstadt zeigen, welche architektonischen Schmuckstücke zu diesem Zweck errichtet wurden.  Beide  Pavillons sind bis heute in Betrieb, wenn auch nur für den männlichen Teil der Bevölkerung.

Literatur:
/1/ T. Schröder, Darmstädter Kloführer, Im Verlag der Flörsheimer Buchhandlung, 2018
/2/ https://www.p-stadtkultur.de/1-darmstadter-toiletten-test-pinkeln-um-jeden-preis/
/3/ https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/stadtlexikon-darmstadt.html
Die Webseiten wurden am 07.08.2019  abgerufen.

Die Gebäude stehen in Darmstadt an der Alexanderstraße und am Spessartring.

Download der Printversion: 113_Darmstadt_K57-2019