Ist es nun ein Turm, ein Hochhaus oder eine Bauskulptur? Das 1976 fertiggestellte Turmrestaurant Steglitz ist eine nicht endende Leidensgeschichte.  Zur Zeit funktioniert der einzigartige Bau der Pop-Art-Kultur nur noch als Mobilfunkmast.

Die Schlossstraße in Berlin-Steglitz war eine belebte Einkaufsstraße. Mit dem Bau der U-Bahnlinien U9 und U10 und dem Anschluss an die Stadtautobahn sollte in den 1960er Jahren ein Verkehrsknotenpunkt entstehen, der dieses Zentrum weiter aufwertet.

202308071956-15
Das Turmrestaurant, im Volksmund Bierpinsel genannt, dominiert die Kreuzung aus der belebten Schlossstraße und der Überführung der Schnellstraße und schafft so einen Identifikationspunkt im Berliner Stadtteil Steglitz.

Das neu gegründete Architekturbüro von Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler plante seit 1966 die zweietagige U-Bahnstation unter der Schlossstraße, die dann auch noch von der Joachim-Tiburtius-Brücke der Stadtautobahn überspannt werden sollte. Um die Verkehrskreuz-Situation städtebaulich aufzuwerten, schlugen die Architekten einen Turmbau in Form eines Baumes vor. Die Idee des Turmrestaurants Steglitz war geboren. Natürlich ging es in Berlin auch damals noch nicht so schnell. Die Idee war ein Vorschlag der Architekten und nicht der Stadt, es mussten private Investoren gefunden werden. Eine Berliner Brauerei hätte am liebsten den Bau in der Form eines Bierfasses angelegt, was zum Glück wieder verworfen wurde. Schließlich fanden sich zwei Bauunternehmer, die das Projekt realisieren wollten. Nach mehreren Änderungen am Entwurf war 1972 Baubeginn. 1974 stieg der Bauträger wegen Geldmangel wieder aus. Schließlich übernahm die städtische Wohnungsbaugesellschaft das Projekt und stellte den Turm 1976 fertig.

202308071927-15
Es gibt Gebäude, die sich unvergesslich einprägen. Das Bierpinsel genannte Restaurantgebäude in Berlin-Steglitz gehört dazu.

Der Turm hat eine oberirdische Höhe von 47 Metern. An einen Betonschaft sind mit einer Stahlkonstruktion blütenförmig überragend 3 Nutzgeschosse angebaut, die für eine Restaurantnutzung vorgesehen waren. Seitlich gibt es ein angesetztes Treppenhaus, das im unteren Teil freiliegend ist. Nach unten führt ein Aufzug direkt bis in die U-Bahn-Ebenen. Immerhin bietet der Turm über 1000 Quadratmeter Nutzfläche. Die Fassadenverkleidung bestand ursprünglich aus leuchtend roten Eternitplatten. Zusammen mit der U-Bahnstation bildet der Bau ein einzigartiges Ensemble, das dem zeitgemäßen Pop-Art-Trend folgt.

202308071946-15
Die eigentlich dem Brutalismus zugeordnete Gebäudestruktur wird durch die Farbgebung zur Pop-Art-Kunst.
202308071929-15
Die kanzelartig überhängenden Fensternischen prägen die Form des Gebäudes. Die im Jahr 2010 aufgebrachte Graffiti-Gestaltung unterstreicht den Pop-Art-Charakter noch viel mehr als die ursprünglich rote Farbgebung des Turms.

Die Nutzung gestaltete sich schwierig. Die Berliner Kindl-Brauerei als Pächter bestand auf ihren Einrichtungsideen, und so sah es innen eher wie bei Heinrich Zille und nicht wie Pop-Art aus.

Bis in die 1980er Jahre waren die Restaurants eine Erfolgsgeschichte. Sogar der RIAS produzierte eine Sendung aus dem Turm. Im Volksmund hatte der beliebte Bau von Anfang an den Namen „Bierpinsel“ bekommen.

Doch nach 1980 wechselten die Betreiber, bis der Turm auch wegen des inzwischen angefallenen Sanierungsstaus ab 2006 leer stand. Ein Wasserschaden und Versicherungsstreit kamen hinzu.

202308071938-15
Auch der Schaft des Turms wurde 2010 von den Graffiti-Künstlern bemalt.

Um den Bau aufzuwerten, ließ der Eigentümer 2010 die inzwischen verblichene, rote Außenfassade von vier internationalen Streetart-Künstlern mit Graffiti gestalten.  Das ursprünglich temporär angelegt Projekt gibt dem Turm sein heutiges Aussehen. Inzwischen weiter verwahrlost, wurde der Turm 2021 erneut verkauft. Ein Umbauplan sieht bis Ende 2024 Co-Working-Spaces und eine kleineres Restaurant vor.

Die Architekten Ursulina Schüler-Witte (1933-2022) und Ralf Schüler (1930-2011) lernten sich während ihres Studiums an der TU Berlin kennen. 1967 gründeten sie in Berlin ihr eigenes Architekturbüro. Der Bau des U-Bahnhofs Schlossstraße und des Bierpinsels in Berlin-Steglitz war ihr Erstlingswerk. Bekannt wurden sie durch den Bau des internationalen Kongresszentrums ICC in Berlin.

Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Bierpinsel
/2/ https://www.berlin.de/sehenswuerdigkeiten/5514897-3558930-bierpinsel.html
/3/ https://entwicklungsstadt.de/ab-2024-bueros-und-gastronomie-im-bierpinsel-an-der-schlossstrasse/
/4/ https://www.gazette-berlin.de/artikel/2709-der-bierpinsel-eine-unendliche-geschichte.html
/5/ https://www.moderne-regional.de/interview-ursulina-schueler-witte-zum-bierpinsel/
Die Webseiten wurden am 18.03.2024 abgerufen.

Das Gebäude steht in Berlin-Steglitz in der Schlossstraße 17.

Download der Printversion: 195_Bierpinsel_Berlin_K98-2024