Für einen Leipziger Industriellen entwarf Oscar Niemeyer einen Aufsatz auf das Kantinengebäude von 1927. Größer hätte der Kontrast zwischen dem Backsteinbau und der futuristischen, weißen Beton-Kugel nicht sein können.

Oscar Niemeyer war bereits 103 Jahre alt, als ihn ein Brief des Leipziger Unternehmers Ludwig Koehne erreichte. Koehne hatte 1994 als 27jähriger Oxford-Absolvent für eine symbolische Mark den Eisenbahnkran-Hersteller Kirow in Leipzig übernommen und zusammen mit seinen anderen Unternehmungen zum Weltmarktführer entwickelt. In dem Brief an Niemeyer führt er seinen engagierten Koch an, der sich gerne über der offensichtlich gut geführten Werkskantine in einem Bau aus dem Jahre 1927 mit einem innovativen Dachaufbau gastronomisch weiterentwickeln wollte /2/. Der vielfach ausgezeichnete Architekt ließ sich von der Idee begeistern und sagte zu. 2012 entwarf er als eines seiner letzten Projekte eine Kugel aus weißem Beton und Glas, die überhängend auf den historischen Backsteinbau aufgesetzt werden sollte.

Oscar Niemeyer starb im Jahr 2012. Sein langjähriger Mitarbeiter Jair Valera finalisierte das Projekt. Zusammen mit dem deutschen Architekten Harald Kern begann die Umsetzungsplanung. Es war offensichtlich nicht einfach, für den kugelförmigen, statisch aufwendigen Bau geeignete Partner zu finden. 2017 war Baubeginn. Die wie ein Raumschiff erscheinende Kugel sollte aus fugenlosem, reinweißen Sichtbeton gefertigt werden. Die geschwungenen Fensterausschnitte brauchten Spezialglasfacetten. Um die Statik in Griff zu bekommen, wurde ein kubischer Betonsockel in das historische Gebäude integriert, der die Kugel trägt und gleichzeitig den Zugang über einen Aufzug aufnimmt. Die Kugel hat einen Durchmesser von 12 Metern bei einer Wandstärke von 20 cm. Innen gibt es ein kleines Technikabteil und darüber drei Ebenen. In der mittleren Ebene befindet sich eine Bar, für die Oscar Niemeyer sogar noch eine künstlerische Wandzeichnung entworfen hatte. Für die Herstellung der Beton-Kugel mussten 50 Holzschalelemente extra von Hand nach Maß angefertigt werden.
Die Fenster sind aus 144 dreieckigen Einzelscheiben zusammengesetzt. Tagsüber lassen sich die Scheiben mit Flüssigkristallen farbneutral verdunkeln oder auch mit Mustern steuern /5/. Nachts erstrahlt die Kugel in bunten Farben. Von der Kugel führt ein direkter Zugang auf den ebenfalls in Weiß gehaltenen Dachgarten.
Insgesamt wurden 3 Millionen Euro verbaut. Nach drei Jahren Bauzeit gab es 2020 ein feierliches Eröffnungsdinner, an dem auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer teilnahm. Den Tiefschlag gab es dann gleich danach. Durch die Corona-Pandemie konnte das geplante, öffentliche Programm nur in kleinen Ansätzen realisiert werden. Inzwischen läuft es wieder besser. Die ebenfalls aufwendig renovierte Kantine im Erdgeschoß ist öffenlich. In der Kugel lädt der Koch zweimal wöchentlich zum edlen Dinner/4/.
Oscar Niemeyer (1907-2012) war ein brasilianischer Architekt. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Moderne. Weltruhm erlangte er mit der Planung der neuangelegten brasilianischen Hauptstadt Brasilia, für die er fast alle Gebäude entwarf. Zusammen mit Le Corbusier zeichnet er für das UN-Hauptquartier in New York verantwortlich. Die Kugel in Leipzig ist sein bisher letztes, realisiertes Projekt.
Literatur:
/1/ https://de.wikipedia.org/wiki/Niemeyer-Kugel
/2/ https://www.technesphere.de/niemeyer-sphere/
/3/ https://de.wikipedia.org/wiki/Oscar_Niemeyer
/4/ https://www.technesphere.de/ceu/
/5/ Eyrise® mit Flüssigkristallen von Merck, https://www.eyrise.com/de/
Die Webseiten wurden am 30.06.2023 abgerufen.
Das Gebäude steht in Leipzig in der Niemeyerstraße 2-5.
Download der Printversion: 187_Niemeyer_Sphere_Leipzig_K94-2023